29. Oktober 2025

3. Sponsorentreff der MTG Mannheim

„Heute Morgen in Berlin, jetzt in Mannheim – mehr geht nicht“, sagt Rüdiger Harksen bei der Begrüßung. Der Weitgereiste lächelt und nimmt einen Schluck aus dem Wasserglas. Marcel Reif, Ehrengast beim dritten Sponsorentreffen der MTG Mannheim, immerhin stattliche 75 Jahre alt, sieht man weder die Reise, noch die fortgeschrittene Uhrzeit an. So quirlig und glockenklar sein Geist, so adrett sitzen Hemd, Sakko, Frisur und, wie es sich für eine Kommentatoren-Legende gehört, die Sätze und Pointen.

Es ist kurz nach sieben Uhr abends im Hilton Garden Inn am Mannheimer Hauptbahnhof. Beste Zeit zum Netzwerken. Die Promi-Quote freut Organisator Harksen. Mannheims Sportbürgermeister Ralf Eisenhauer ist gekommen und sitzt nicht weit von Sebastian Bayer, Deutschlands bestem Weitspringer und nun, in „Sportlerrente“, Trainer-Nachfolger Harksens beim Deutschen-Leichtathletik-Verband wie bei der MTG. Bundestrainer und Adler-Mannheim-Ikone Harold Kreis gibt sich ebenso die Ehre wie VfR-Mannheim-Geschäftsführer Stephan Pfitzenmaier.

Sie alle haben großen Spaß an diesem Abend. Man spürt sofort: Das ist kein Pflichttermin. Was übrigens auch für den Stargast gilt. Während Harksen nach seinen einleitenden Worten etwas umständlich auf dem Tablet die dort notierten Fragen sortiert, ergreift Reif das Wort. „Solange du da rumklickst, fange ich mal an. Ich bin immer gerne in Mannheim“, sagt er und erklärt warum. Abitur in Heidelberg, Eishockey-Leidenschaft in Mannheim, dazu Fußball mit den Kumpels beim ASV Feudenheim: „Das alles hat mich damals sehr geprägt.“

Freitags ging es traditionell in den Friedrichspark, „Harry und den Jungs zugucken“, wie Reif Richtung Kreis bemerkt und dem alten Eishockey-Haudegen damit ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Da ist er, ganz plötzlich und ohne dass man es bewusst registriert: der Kommentator. Und nicht irgendeiner. „Mein ganzes berufliches Leben zielte auf Effekthascherei“, sagt Reif im Laufe des Abends. In Sachen Wortgewalt und Unterhaltungswert macht ihm bis heute niemand etwas vor. Beispiele gefällig?

Eine Mischung aus Staunen und Gänsehaut erzeugt Reif, als er von seinem ersten großen Moment als Sportjournalist erzählt. 1969 vermischen sich bei der Eishockey-WM in Stockholm Sport und Politik, sorgt der sensationelle Erfolg der damaligen Tschechoslowakei über die schier unbesiegbare Sowjetunion für einen historischen Moment: „12.000 Leute sangen nach dem Sieg heulend die Hymne, das war der helle Wahnsinn.“ Die Sowjetunion ist wenige Monate zuvor in das Land einmarschiert, um dem „Prager Frühling“ das Wasser abzugraben.

All die damit verbundenen Emotionen entladen sich in diesem Augenblick auf und neben dem Eis, brennen sich tief ein ins Gedächtnis des damals 19-Jährigen. Er spürt die große Kraft des Sports. Da ist so viel mehr als Zweikämpfe, Tore, Ergebnisse. „Sport hat eine gesellschaftliche Funktion, und zwar eine sehr wichtige“, betont Reif. Von Integration werde viel gesprochen auf prominenten Bühnen. Umgesetzt werde sie dann aber in den kleinen Vereinen am Stadtrand, wo Menschen ihr Herzblut in die so gerne beschworene Arbeit an der Basis stecken.

„Das hält uns zusammen, und da braucht es von der Politik mehr als ein paar schöne Bilder aus der Nationalmannschaftskabine“, spielt Reif auf die Jubelszenen bei der Fußball-WM 2014 an, als sich Bundeskanzlerin Angela Merkel als Kabinengast mit einem mehr als halbnackten Mesut Özil medienwirksam ablichten ließ. In Norwegen sei Sport Teil des täglichen Lebens und trage entscheidend dazu bei, Gesundheit zu fördern und Krankenkassen zu entlasten. Eigentlich, so Reif, könne man es sich als Land nicht leisten, das nicht zu machen. Bringe man Kindern nicht mehr bei, wie man sportlich und gesund lebt, komme das die Gesellschaft später teuer zu stehen.

Dass Reif schon immer weit über das rein sportliche Geschehen hinausblickt, liegt in ihm selbst begründet. Sein Vater überlebte den Holocaust, ging mit der Familie aus Polen über Tel Aviv nach Deutschland. Für den kleinen Marcel bedeutete diese Odyssee, dass er überall als Außenseiter ankam. Das Schlimmste: die Sprachbarriere. „Von meiner Mutter hatte ich das Polnische, von meinem Vater das Jiddisch, von meiner Großmutter ein bisschen Deutsch.“ Als ihn seine Mutter in der neuen Heimat Kaiserslautern beim Fußball anmeldete, fand der achtjährige Marcel Anschluss: „Da konnte ich dann mit den Füßen sprechen.“

Fußball ist Reif bis heute Heimat geblieben. Zweimal die Woche nimmt er den Podcast „Reif ist live“ auf. Ansonsten macht er nur noch, worauf er Lust hat. Er schwärmt von den Treffen mit seinem Entdecker, Mentor und Freund Dieter Kürten, der trotz seiner 90 Jahre noch genauso redselig wie trinkfest sei. „Beim letzten Mal habe ich noch Günther Jauch dazu eingeladen, die beiden hatten sich ganz schön viel zu erzählen“, schmunzelt Reif beim Gedanken daran und wird nach 90 Minuten, die Länge eines Fußballspiels, mit langem, warmem Applaus verabschiedet.

Quelle: Mannheimer Morgen, 28.10.2025

„Zweimal ist eine Wiederholung, dreimal ist eine Tradition“, meint der stellvertretende Vorsitzende der MTG Mannheim, Rüdiger Harksen, als er den Sponsorentreff im Hilton Inn am Mannheimer Hauptbahnhof einleitet. Bei der Premiere vor zwei Jahren war Eishockey-Ikone Harold Kreis als Gastredner eingeladen, letztes Jahr der renommierte Sportpsychologe Hans-Dieter Herrmann. Diesmal ist der bekannte Sportjournalist- und Kommentator Marcel Reif zu Gast, um aus seinem enormen Fundus an Erfahrung zu sprechen.

„Sport sollte immer Hobby bleiben. Ich wollte wirklich nicht Sportjournalist werden. Ich wollte politischer Journalist werden“, sagt Reif. So ganz funktioniert hat das nicht. Doch er hat dem Sport, insbesondere dem Fußball, viel zu verdanken. Seine ersten Lebensjahre in Warschau und später in Tel Aviv bezeichnete Reif als schwere Zeit.

„Ich konnte die Sprache nicht. Ich hatte das erste Trauma in Israel in diesen anderthalb Jahren, weil ich dort natürlich kein Hebräisch gesprochen habe.“ Besser wurde es, als seine Familie nach Kaiserslautern umzog und Reifs Mutter ihn beim 1. FCK unterbrachte. Der Fußball habe ihn gerettet, sagt er. „Dort konnte ich dann mit den Füßen sprechen. Die Mannschaft war froh, dass ich bei ihr war. Das hat mir das Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl gegeben.“

Der Sport blieb ein großer Teil seines Lebens. Seine einzigartige Art und Weise, Spiele zu kommentieren gehörte später für viele Zuschauer genauso zu einem großen Fußballabend wie der Anpfiff. Selbst wenn der sich verzögerte, so wie bei Reifs ikonischstem Auftritt am 1. April 1998.

Das Champions-League Spiel zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund begann 76 Minuten später, weil ein Tor umgefallen war. Reif und sein zugeschalteter Kollege Günther Jauch blieben auf Sendung. Dafür und für Reifs legendären Satz „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan“ erhielten beide im selben Jahr den bayrischen Fernsehpreis.

An der medialen Präsenz des Fußballs wird sich laut Reif auch in Zukunft nichts ändern. „Deutschland ist ein Fußballland. Viel mehr wie jetzt wird allerdings nicht gehen“, meint er, „aber die Summen, die im Fußball gezahlt werden, werden nochmal anders. Weil diejenigen, die sie zahlen, es einfach können.“

Er verstehe jeden, der meine, die Summen im Fußball heutzutage seien Wahnsinn. „Was ich aber nicht ab kann ist, wenn ein Uli Hoeneß meint, sie machen diesen Wahnsinn nicht mit und zwei Tage später kaufen sie Harry Kane für 100 Millionen. Dann wird’s Heuchelei.“

Für andere Sportarten hofft der 75-Jährige auf einen Aufschwung, der durch Erfolge entstehen könne und müsse. Als positives Beispiel nannte er das deutsche Eishockey. Durch die Erfolge der letzten Jahre „hast du plötzlich eine ganz andere Wahrnehmung. Wenn ein Zverev mal ein Finale gewinnt, gibt das auch einen Schub.“

Angesprochen auf seine Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Januar 2024 im Bundestag sagte Reif, dessen Vater den Holocaust nur knapp überlebt hat, er habe es als wichtig empfunden, solch eine Gelegenheit zu nutzen, auch wenn er sich zunächst gegen die Idee gewehrt hatte. „Es geht nicht darum, nachzukarten sondern darum, diese Erinnerung auch der nächsten Generation im Bewusstsein zu halten.“ Hierfür erhielt er neben Standing Ovations später auch den deutschen Rednerpreis.

Trotz lockerer Runde sprach Reif oft Klartext. Das beherrscht er wie fast kein Zweiter.

Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung, 29.10.2025