Glasgow. Yemisi Ogunleye war fassungslos. Im ersten Moment konnte sie gar nicht realisieren, was sie gerade erreicht hatte. „Das ist so surreal, was hier gerade passiert ist. Wir reden nicht nur von 19, wir reden hier von 20 Metern“, sagte die Kugelstoßerin der MTG Mannheim nach dem bislang größten Erfolg in ihrer noch jungen Karriere. Bei der Hallen-WM der Leichtathleten in Glasgow feierte die 25-Jährige am Freitag Sensationssilber! Mit 20,19 Metern verbesserte Ogunleye ihre erst in diesem Jahr aufgestellte Bestleistung um satte 62 Zentimeter. Nur die Kanadierin Sarah Mitton landete vor ihr, die Winzigkeit von drei Zentimetern fehlten Ogunleye zu Gold.
Das interessierte den Schützling von Iris Manke-Reimers aber nicht. „Den Zentimetern zu Gold trauere ich gar nicht hinterher. Ich bin unglaublich dankbar, hier mit der Silbermedaille rauszugehen“, betonte Ogunleye, die einen Start nach Maß in den Wettkampf erwischte. Gleich im ersten Versuch landete die vier Kilometer schwere Kugel jenseits der 20-Meter-Schallmauer. „Ich glaube, es hat mir geholfen, im ersten Versuch so eine Weite rauszuhauen. Dass es 20 Meter geworden sind, ist einfach verrückt. Ich habe gar nicht den Einschlag der Kugel gesehen. Als der Kampfrichter dahin gelaufen ist, dachte ich: Das ist jetzt nicht wirklich passiert“, sagte Ogunleye.
Ihre Medaille hatte eine historische Dimension. Damit holte sie für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) das erste WM-Edelmetall unter dem Hallendach seit sechs Jahren. Bis nach dem dritten Durchgang lag Ogunleye sogar auf Goldkurs, dann wuchtete Vizeweltmeisterin Mitton die Kugel auf 20,20 Meter. Als sie als Siegerin feststand, packte die Kanadierin sogar noch einmal zwei Zentimeter drauf. Rang drei ging an die zweimalige Freiluft-Weltmeisterin Chase Jackson (USA/19,67 m). Alina Kenzel (VfB Stuttgart) verpasste als Elfte mit 17,80 Metern den Einzug ins Finale der Top Acht. „Die 20 Meter von Yemi sind der Wahnsinn, das ist die Spitze der Weltklasse. Wir sind gute Freunde, auch abseits vom Sport. So eine Leistung motiviert auf jeden Fall, aber ich bin zurzeit auf einem anderen Niveau“, sagte Kenzel.
Fünf Monate vor den Olympischen Spielen setzte Ogunleye derweil ihren atemberaubenden Aufstieg fort und avancierte damit sogar zu einer deutschen Hoffnungsträgerin für Paris. Wie stets in ihrem Leben, in dem der Glaube ihr „eine große Stütze“ ist, half ihr dieser auch in Schottland. „Ich bin heute Morgen aufgewacht, habe meine Bibel aufgeschlagen und einen Vers gelesen, der hieß: Sei mutig und stark, denn der Herr, dein Gott, ist mit dir“, erzählte Ogunleye, „und mit diesem Vers bin ich in diese Weltmeisterschaft gegangen: Du wirst mutig, stark und zuversichtlich sein. Du hast es verdient, hier zu sein, und du kannst mehr erreichen, als du dir vorstellen kannst.“
Das gelang Ogunleye eindrucksvoll. Christina Schwanitz war die letzte Deutsche, die mit der Vier-Kilo-Kugel über 20 Meter stoßen konnte – zuletzt im Jahr 2016. Kein Wunder, dass in der Heimat auch Rüdiger Harksen die Superlative fast ausgingen. „Im Sport passieren Dinge, die einfach unfassbar und wunderbar sind“, sagte der Leistungssportchef der MTG Mannheim und ergänzte: „Ein großes Kompliment geht an die Athletin und ihre Trainerin. Bei einer WM in Topform zu sein und eine persönliche Bestleistung aufzustellen, ist die hohe Schule.“
(Quelle: Mannheimer Morgen mit dpa vom 2.3.24)